Wie ist die aktuelle Situation einzuschätzen?

Am 7. Oktober 2023 griff ein Bündnis palästinensischer Widerstandsgruppen (angeführt von der Hamas) vom Gebiet des Gazastreifens aus Dörfer im Süden Israels an. Dabei fanden laut offiziellen Angaben Israels ungefähr 1.200 Sicherheitskräfte und Zivilisten den Tod, mindestens 239 Menschen wurden als Gefangene in den Gazastreifen gebracht¹.

Noch am selben Tag begann Israel mit seiner Offensive gegen den Gazastreifen, die bis heute andauert. Israel zerstört (durch Luftangriffe und Artilleriebeschuss) gezielt Wohnblocks, Krankenhäuser, Flüchtlingsunterkünfte, Moscheen, Universitäten und Schulen ohne jeden militärischen Wert². Gleichzeitig kommt es zu Erschießungen von Zivilisten^{3 4}. 80% der Bevölkerung Gazas sind zu Binnenvertriebenen geworden⁵. Zusätzlich hat Israel am 9. Oktober 2023 eine vollständige Blockade über den Gazastreifen verhängt und die Bevölkerung von Nahrungsmitteln, Wasser, Medizin, Treibstoff und Elektrizität abgeschnitten. Als Folge grassieren Hunger und Krankheit im Gazastreifen⁶, die UN spricht von einem Zusammenbruch der Gesellschaft⁷. Mindestens 22.000 Menschen wurden bis zum 1. Januar 2024 durch die israelische Kriegsführung getötet, die Dunkelziffer liegt deutlich höher⁸.

Die israelische Armee geht in diesem Krieg nach der sogenannten Dahiya-Doktrin vor, die bereits 2006 im Libanon erprobt wurde⁹. Nach dieser Doktrin ist die beste Methode, eine Guerillabewegung wie Hisbollah oder Hamas zu bekämpfen, die weitreichende Zerstörung von ziviler Infrastruktur und die Massentötung von Zivilisten. Man hofft, dadurch einen Zustand des „Schocks“ unter der Zivilbevölkerung auszulösen und die Guerillabewegung unter „zivilen Druck“ zu setzen¹⁰.

Der israelischen Regierung geht es aber nicht nur um die Zerschlagung der Hamas, sondern auch um die ethnische Säuberung der palästinensischen Gebiete. Am 13. Oktober 2023, kurz vor Beginn der Bodenoffensive, rief die israelische Armee die palästinensische Bevölkerung auf, den nördlichen Teil des Gazastreifens zu verlassen¹¹. Die Politik der israelischen Regierung zielt auf die Deportation der überlebenden Palästinenser nach Kriegsende ab. Der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich und der israelische Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir fordern eine großangelegte „freiwillige Auswanderung“ der Palästinenser aus dem Gazastreifen und die Besiedlung des Gebiets mit jüdischen Israelis¹². Auch Premierminister Benjamin Netanjahu hat sich für solche Maßnahmen ausgesprochen¹³. „Wir werden keine Situation erlauben, in der dort zwei Millionen Menschen leben. Wenn in Gaza 100.000 bis 200.000 Araber leben, wird die Diskussion über den Tag danach eine ganz andere sein“, so der Finanzminister¹⁴.

Die Aktionen Israels bringen bewusst Zerstörung und Leid über die Bevölkerung des Gazastreifens. Ein Teil der Bevölkerung wird systematisch vernichtet – mit dem Ziel, den Widerstand der Palästinenser zu brechen¹⁵. Damit begeht Israel nach internationalem Recht einen Völkermord¹⁶. „Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln entsprechend“, so beschrieb der israelische Verteidigungsminister Joaw Galant die Vorgehensweise seiner Regierung¹⁷.

Welche Rolle spielt der Zionismus?

Das mörderische Vorgehen Israels in diesem Krieg ist nur die Fortsetzung einer seit Jahrzehnten vor sich gehenden siedlerkolonialen Politik gegen das palästinensische Volk. In Israel und den vom israelischen Militär ganz oder teilweise kontrollierten Gebieten leben ungefähr 7.2 Millionen israelische Juden und 7.1 Millionen Palästinenser¹⁸. Der israelische Staat versteht sich aber ausdrücklich nur als Staat der Juden¹⁹. Die Ideologie des israelischen Staates ist der Zionismus – eine im 19. Jahrhundert aufgekommene Ideologie des jüdischen Nationalismus²⁰. Laut dem Zionismus ist das Judentum nicht nur eine Religion, sondern auch eine Volksgruppe und alle Juden auf der Welt seien Teil dieses Volkes (obwohl sie unterschiedliche Sprachen sprechen, in verschiedenen Ländern leben und verschiedene Kulturen haben). Das Ziel der Zionisten war und ist es in dem Land, das laut dem Tanach (der heiligen Schrift des Judentums) den Juden versprochen wurde, einen jüdischen Ethnostaat zu errichten. Das heißt einen Staat, dessen Territorium hauptsächlich oder vollständig von Juden bevölkert wird und unter dem nur Juden volle Bürgerrechte genießen. Dieses Land erstreckt sich laut dem Tanach in etwa vom Fluss Nil in Ägypten bis zum Fluss Euphrat in Syrien²¹. Das Herzstück dieses Landes ist Palästina. Israel kontrolliert seit seiner Gründung nicht das gesamte Gebiet, weshalb es bis heute seine Grenzen nicht fest definiert hat²². Immer wieder haben Israels Bestrebungen, das gesamte ,,heilige Land” zu erobern, zu blutigen Kriegen mit seinen Nachbarn geführt. Die Zionisten leiten ihr „Recht” auf das „heilige Land” entweder direkt aus der jüdischen Religion oder aus den angeblichen „historischen und spirituellen Verbindungen“ des „jüdischen Volkes“ zu diesem Land ab. Ihnen ist jedes Mittel recht, um ihr Ziel zu erreichen. Im Zuge der Errichtung des Staates Israel führten die Zionisten 1948 eine großangelegte ethnische Säuberung gegen die auf diesem Land lebenden Palästinenser durch, während der sogenannten Nakba (arabisch für “Katastrophe”) wurden 750.000 Palästinenser auf brutalste Weise aus ihrer Heimat vertrieben²³. Bis heute leben sie und ihre Nachkommen in Flüchtlingslagern in den angrenzenden Staaten. Israel gestattet ihnen nicht, nach hause zurückzukehren²⁴. 1967 eroberte Israel das Westjordanland, Ostjerusalem und die Golanhöhen. Seitdem wird die ansässige palästinensische Bevölkerung systematisch vertrieben. Ihre Stadtteile und Dörfer werden dem Erdboden gleichgemacht und auf den Trümmern werden Siedlungen für jüdische Israelis gebaut²⁵. Es kommt regelmäßig zu gewalttätigen Pogromen jüdischer Siedler gegen die palästinensische Bevölkerung²⁶. Langfristiges Ziel des israelischen Staates ist es, alle Palästinenser aus den besetzten Gebieten zu vertreiben (oder sie im Zweifelsfall zu ermorden) und das leer gewordene Land dann vollständig mit jüdischen Israelis zu besiedeln. So will die israelische Führung den jüdischen Ethnostaat auch auf diese Gebiete ausweiten.

Bis dahin werden die Palästinenser unterdrückt und entrechtet. Die Bewohner des Westjordanlands haben kein Wahlrecht, kein Recht auf Versammlungsfreiheit, kein Recht auf gewerkschaftliche Betätigung, kein Recht auf Bewegungsfreiheit und keinerlei Rechte im Bezug auf Arbeit, Bildung und Gesundheitsversorgung. Sie leben unter permanentem Militärgesetz und können jederzeit ohne fairen Prozess eingesperrt oder hingerichtet werden. Auch die Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft und die Bewohner Ostjerusalems werden, was Bewegungsfreiheit, Bildung und Gesundheitsversorgung angeht, diskriminiert – erstere dürfen an den Parlamentswahlen teilnehmen, zweitere nicht²⁷. Gegen friedliche Proteste der Palästinenser geht das israelische Militär mit Scharfschützen vor²⁸. Die ungleiche rechtliche Behandlung verschiedener ethnischer Gruppen auf dem gleichen Gebiet wurde von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch zurecht als Apartheid bezeichnet.

Wir haben es hier mit einem völlig skrupellosen siedlerkolonialen Apartheidsstaat zu tun, der einen erbarmungslosen Vernichtungskampf gegen das palästinensische Volk führt. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass der Widerstand des palästinensischen Volkes immer erbitterter wird. Der Angriff am 7. Oktober diesen Jahres ist in diesem Kontext zu sehen. Natürlich verurteilen wir auch die Gewalt gegen jüdisch-israelische Zivilisten zu der es im Zuge dieses Angriffs kam. Aber es überrascht uns nicht, dass die palästinensischen Opferzahlen drei Monate später mehr als zwanzig mal so hoch sind wie die israelischen.

Welche Rolle spielt Deutschland?

Die deutsche Regierung steht in diesem Krieg „unverbrüchlich“ an der Seite Israels. Führende deutsche Politiker haben sich klar gegen einen humanitären Waffenstillstand positioniert und der deutsche Staatssekretär Steffen Hebestreit erklärt Schulen und Krankenhäuser offen zu Kriegszielen²⁹. Die Herrschenden in Deutschland sind dreist genug, die Unterstützung eines Völkermords als notwendige Lehre aus dem deutschen Faschismus darzustellen. Die in Westdeutschland nie erfolgte Entnazifizierung sowie das bewusste Tolerieren faschistischer Netzwerke in Polizei und Bundeswehr durch die deutschen Behörden, soll durch die ewigen Bekenntnisse zu Israel verschleiert werden. Israel erfüllt also eine zentrale ideologische Funktion für den deutschen Staat. Gleichzeitig ist das Land ein wichtiger Verbündeter der NATO im Nahen Osten. Und nicht zuletzt erwirtschaften deutsche Monopole große Profite aus dem Handel mit Israel – ganz besonders deutsche Rüstungsmonopole³⁰.

Und wie weiter?

Solange das palästinensische Volk Opfer von Genozid, ethnischer Säuberung und rassistischer Unterdrückung ist, wird es im Nahen Osten niemals Frieden geben. Das palästinensische Volk kämpft heute buchstäblich um sein Überleben. Ein dauerhafter Frieden kann nur zustande kommen, wenn der israelische Staat seinen jüdischen Ethnonationalismus und seine Siedlungsprojekte auf palästinensischem Land aufgibt und allen Menschen in seinem Machtbereich volle Bürgerrechte zusichert. Das bedeutet selbstverständlich auch ein Rückkehrrecht für alle seit 1948 vertriebenen Palästinenser und ihre Nachkommen. Die israelische Führung wird ihre menschenverachtende Politik aber niemals freiwillig aufgeben, der bewaffnete Kampf des palästinensischen Volkes ist also nicht nur gerechtfertigt, sondern notwendig.

Wie in jedem anderen kapitalistischen Land ist auch der Staat in Israel ein Klassenstaat der Bourgeoisie. Er vertritt ihre Interessen sowohl gegen die palästinensische als auch gegen die jüdisch-israelische Arbeiterklasse. Und wie in jedem anderen kapitalistischen Land hat auch die Arbeiterklasse in Israel und den besetzten Gebieten, unabhängig von Nationalität oder Religion, ein gemeinsames Interesse am Frieden und der Beendigung ihrer Ausbeutung. Solange es der Bourgeoisie aber gelingt, die jüdisch-israelischen Arbeiter Mithilfe des Zionismus gegen ihre palästinensischen Klassenbrüder und -schwestern auszuspielen, wird es der Arbeiterklasse nicht gelingen ihre Interessen durchzusetzen. Nur die Bourgeoisie profitiert von Krieg, Unterdrückung und Rassismus. Die Arbeiter aber brauchen eine neue Gesellschaft ohne Ausbeuter, eine Gesellschaft, in der die gesellschaftliche Produktion nicht auf Maximalprofit, sondern nach den Bedürfnissen aller Menschen ausgerichtet ist. Alle Arbeiter in Israel und den von Israel besetzten Gebieten, Juden und Palästinenser, müssen sich zusammenschließen und die zionistische Führung stürzen. Sie trennt nur die Propaganda ihres gemeinsamen Feindes. Sie eint das Interesse am Frieden und am Sozialismus.